Es ist August 2024, und die zweite Erkundungsreise zum Kloster Phuktal beginnt. Neu im Team ist Hans-Mathias Liechti von der Gasser Engineering AG / Felstechnik, der zusammen mit Dechen, Stéphane und mir an dieser Reise teilnimmt. Sein Ziel ist es, die Steinschlagsituation vor Ort zu analysieren, um geeignete Sicherungsmaßnahmen, die
Logistik und die damit verbundene Kosten zu beurteilen.
Auf einem der schönsten und spektakulärsten Flüge der Welt von Delhi nach Leh, überqueren wir den Himalaya und geniessen den Anblick der majestätischen, schneebedeckten Berggiganten, sowie der grünen, üppigen Flächen der Siedlungen, die zwischen den mächtigen Gebirgszügen liegen.
Leh ( 3500 m ü.M.) ist die multikulturelle Hauptstadt von Ladakh und wird oft als Klein-
Kathmandu oder Klein-Tibet bezeichnet. Politisch gehört Ladakh zu Indien, jedoch gibt es
kulturell nur wenige Gemeinsamkeiten zum Mutterland.
Dort treffen wir Lama Chospel Zotpa, Präsident der Himalayan Buddhist Cultural
Association, sowie einen Biologen der GoGreen GoOrganic, der sich der Erhaltung des
fragilen und einzigartigen Ökosystems durch grossflächige Pflanzungen von Sträuchern und Bäumen widmet.
Lama Chospal erläutert uns, dass wir einen Bericht über die erforderlichen
Sicherungsmassnahmen für die Höhle erstellen müssen. Dieser Bericht wird
anschliessend zur Genehmigung an die zuständigen Behörden eingereicht. Für
Massnahmen ausserhalb der Klosteranlage sind keine Bewilligungen erforderlich, sodass
wir diese sofort umsetzen können.
Der Biologe hat uns zugesichert, noch vor dem Wintereinbruch die Situation vor Ort zu
beurteilen. Er wird prüfen ob und wie beispielsweise Weiden- Sanddorn oder
Aprikosenbäume, die bis in Höhenlagen von 4800 m ü.M. gedeihen, eingepflanzt werden können.
Diesmal verzichten wir auf eine optimale Akklimatisation und begeben uns bereits am
dritten Reisetag auf eine lange und anstrengende Jeepfahrt. Die Route führt über holprige
Schotterpisten, die von Schlaglöchern übersät sind, nach Padum, der Hauptstadt von
Zanskar. Nach über neun Stunden Fahrt über zwei Pässe (4700 m und 4840 m ü. M.)
erreichen wir am späten Nachmittag Padum (3600 m ü.M.), das hauptsächlich von Muslimen bewohnt ist.
Am nächsten Tag fahren wir erneut zwei Stunden in Richtung Kloster bis zum
Ausgangspunkt der Fussstrecke. Leider ist der Fussweg entlang des Flusses aufgrund
von Felssprengungen gesperrt, die im Rahmen des Baus der zukünftigen Strasse
Richtung Kloster Phuktal durchgeführt werden.
Daher müssen wir den schmalen Pfad auf der gegenüberliegenden, türkisblauen
Flussseite nehmen, der sich spektakulär an den steilen Abhängen der Tsarap-Schlucht entlang schlängelt.
Die Landschaft ist so überwältigend mit ihren bizarren Bergen und der glasklaren Luft,
dass jeder einzelne Moment zu einem kostbaren Erlebnis wird und die Summe dieser
Augenblicke ein wundervolles Gesamtbild schafft.
Die Gegend ist wirklich atemberaubend - nicht nur wegen der dünnen Luft.
Nach rund anderthalb Stunden erreichen wir das faszinierende Höhlenkloster Phuktal, wo wir herzlich von den Novizen empfangen werden.
Es fühlt sich für mich fast wie ein Heimkommen an - in eine Welt, die manchmal
unrealistisch erscheint.
Nichtsdestotrotz vermessen Hans-Matthias und ich bereits am Nachmittag nach unserer
Ankunft die Höhle und diskutieren über mögliche Sicherungsmassnahmen.
An den folgenden Tagen inspizieren wir den instabilen Steilhang oberhalb des Klosters.
Fachmännisch gesichert erkunden wir das Gelände und entwickeln Ideen für sinnvolle,
effiziente und kostengünstige Steinschlagschutzmassnahmen. Unsere Arbeit wird von
einer Drohne überwacht, sodass im Falle eines Ausrutschers alles wenigstens dokumentiert ist.
In einer besonderen Zeremonie in der Kapelle werden wir für unseren freiwilligen Einsatz gebührend geehrt.
Anschliessend brechen Dechen und Hans-Matthias zur Rückreise nach Leh auf, während Stéphane und ich noch länger im Kloster verweilen.
Wir möchten in aller Ruhe zusätzliche Filmaufnahmen vom Alltag der Mönche, der Umgebung, dem Debattieren und Lernen der kleinen Mönche, sowie einer speziellen Zeremonie im Kloster machen.
Nach einiger Zeit im Kloster Phuktal wird deutlich, warum die Menschen gerade hier einen
Grad an Spiritualität erreicht haben, der kaum anderswo auf der Welt zu finden ist. Der
tibetische Buddhismus, der in Ladakh und Zanskar die Hauptreligion darstellt, prägt nicht
nur das Leben der Menschen in dieser Gegend sondern auch das Landschaftsbild in gleicher Weise.
Im Anschluss reisen wir von Leh aus über zwei Pässe ( 5359 m und 5480 m ü.M.) zum
Kloster Diskit im Nubra-Tal sowie zum wunderschönen, unberührten und heiligen Pangong-See.
Dieser See, der auf 4300 m ü.M. liegt, ist der höchstgelegene Salzwassersee der Welt und
befindet sich an der Grenze zu China. Der Zugang für Touristen wurde erst 2021 eröffnet.
Trotz der kargen Landschaft überkommt einen ein ehrfurchtvolles und beglückendes
Gefühl, während das verinnerlichte Zeitgefühl im Winde verweht - ein wunderschöner Abschied von diesem einzigartigen Ladakh-Gebiet.
In Leh bestellte Hans Matthias Materialien für den Bau eines Versuchsabschnitts zur
Steinschlagsicherung. Anhand der von ihm angefertigten Planskizzen wurde bereits ein Abschnitt im Steilhang oberhalb des Klosters errichtet.
Die gesamte Erkundungsreise 2024 verlief glücklicherweise sehr erfolgreich.
Wir blicken optimistisch auf das nächste Jahr, in dem wir weitere Sicherheitsmassnahmen
gegen Steinschlag für das Kloster umsetzen möchten.
Dazu benötigen wir selbstverständlich finanzielle Mittel, die hoffentlich auf unser Spendenkonto fliessen werden.
Verfasst von Röne Rüegg.
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